Die Exotin in der Geschäftsleitung
Auf den ersten Blick sind Männer und Frauen in der Arbeitswelt einigermassen gleichgestellt. Weshalb sind dann aber Frauen in Kaderpositionen und Verwaltungsräten immer noch untervertreten?
Das Thema «Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern in der Gesellschaft und in der Wirtschaft» ist weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden. Gemäss der Studie «Auf dem Weg zur Gleichstellung?» des Bundesamts für Statistik aus dem Jahre 2003 sind vor allem Junge (!) wenig interessiert an Gleichstellungsthemen. Weil alles zum Besten steht? Tatsächlich sind Frauen heutzutage mehrheitlich gleich gut
ausgebildet wie die Männer. Im Erwerbsleben sind Frauen fast schon wie selbstverständlich anzutreffen. Die Diskriminierung am Arbeitsplatz ist zwar immer noch vorhanden, gerade, wenn es um die Entlohnung von höherem Kader geht. Dabei wäre die Anerkennung der Leistung weiblicher Führungskräfte in Form monetärer Gratifikation ein sehr gutes «Frauenförderungsprogramm», weil damit die Neigung der Frauen zur Übernahme von Aufgaben in höheren hierarchischen Ebenen gefördert würde. Aber zumindest bei der Anstellung und auch bei den Aufstiegschancen besteht «relativ gesehen» Grund zur Zufriedenheit. Frauen werden gefördert und auch für Führungsaufgaben angefragt. Angesichts dieser auf den ersten Blick rosigen Aussichten ist es erstaunlich, dass der Anteil von Kaderfrauen in der Wirtschaft bei rund neun Prozent stagniert, und zwar seit 20 Jahren. Warum beträgt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 26 gewichtigsten börsenkotierten Schweizer Firmen nur 3,9%, in den Verwaltungsräten 7,2%?
Familie bremst den Weg nach oben
Wenn man die etwas indiskrete, aber zur Beantwortung dieser Frage doch relevante Recherche macht, wie viele dieser Top-Frauen minderjährige Kinder haben (nämlich praktisch keine), ist der wichtigste Grund schnell eruiert: Familie und Beruf sind in der Schweiz schwer unter ein Dach zu bringen, erst recht, wenn es im Beruf um die Ausübung einer höheren Position geht. Das gilt für Männer und
Frauen werden gef�rdert und auch f�r F�hrungsaufgaben angefragt.
Frauen zwar gleichermassen, aber in der Schweiz ist die Kinderbetreuung nun mal in erster Linie Sache der Frau. Teilzeitarbeit in Kaderberufen ist ein Fremdwort. Ein CEO-Amt nur an vier Tagen der Woche auszuüben? Unmöglich. Wirklich? Ich wage die Behauptung, dass es plötzlich möglich würde, wenn beispielsweise Daniel Vasella von Novartis, Hansueli Loosli von Coop oder Rolf Dörig von Swiss Re öffentlich kund tun würden, dass sie grundsätzlich nur noch vier Tage die Woche im Büro anzutreffen seien, um den fünften Tag mit ihren Kindern zu verbringen. Zumal die
Teilzeitarbeit in Kaderberufen ist ein Fremdwort.
Managementfähigkeiten bedeutend gestärkt würden, wenn man neben dem Geschäftlichen auch noch den Haushalt und die Kinderbetreuung organisieren müsste.
Mehr Rückhalt für externe Kinderbetreuung
Ein weiterer positiver Nebeneffekt einer solchen Arbeits- und Familienteilung wäre wohl, dass die externe Kinderbetreuung in kürzester Zeit günstiger würde, wenn die Männer nicht nur mit Lippenbekenntnissen die von Frauen lancierte Initiative unterstützen würden, wonach externe Kinderbetreuung flächendeckender und weniger teuer anzubieten wäre. Für Kaderleute ist es zwar nicht unbedingt problematisch, wenn sie für die Krippenbetreuung von zwei Kindern an je drei Tagen CHF 2 500 monatlich hinblättern. Wenn sie beim Ausfällen der Steuererklärung aber feststellen, dass sie nur CHF 3 000 pro Jahr für die externe Kinderbetreuung abziehen können, würde sie das vielleicht doch etwas aufrütteln. Die männlich dominierte Unternehmenskultur ist nicht nur für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf problematisch. Sie ist es auch hinsichtlich der Durchsetzungskraft der Frauen. Unzählige Studien belegen es mittlerweile auch wissenschaftlich: Als einzige Frau in der Geschäftsleitung oder im Verwaltungsrat haben es die weiblichen Kadermitglieder schwer, nicht zuletzt, weil sie als «Exotinnen» aufs Frausein reduziert werden. Nehmen wir als Beispiel eines der raren Interviews von Nestlé-Konzern- und Verwaltungsratschef Peter Brabeck, das er im März 2004 der Wirtschaftswochenzeitung «Cash» gab. Auf die (frauenfeindliche) Frage, was Carolina Müller-Möhl, «die reiche Witwe des Privatbankiers», dem Nestlé-Verwaltungsrat bringe, antwortete Brabeck: «Wir wollten nach Vreni Spörry wieder eine Frau, weil wir uns vor allem an weibliche Käufer wenden. Dann suchten wir jemanden, der die jüngere Generation vertritt. Zudem hat Frau Müller-Möhl als Unternehmerin bemerkenswerten Mut bewiesen.
Sowohl die Unternehmen als auch die Medien reduzieren die Frau auf ihr Geschlecht.
Sie hat sich nach dem Tod ihres Mannes nicht zurückgezogen, sondern in der Bank Verantwortung übernommen.» Mit anderen Worten: Eine Frau hat andere Frauen anzuziehen und eine Frau ist mutig, wenn sie sich ein solches Amt zutraut.
Rundliche Stadträtin mit sturem Kopf
Sowohl die Unternehmen selbst als auch die Medien reduzieren die Frau auf ihr Geschlecht. Oder hat je ein Artikel über einen Mann so begonnen wie das «Weltwoche»-Porträt von Monika Stocker, seit mehr als 12 Jahren Sozialvorsteherin der Stadt Zürich: «Monika Stocker ist eine kleine, rundliche Frau und freundlich. Man ist erstaunt. Das soll die feurige Zürcher Stadträtin sein, die bekannt ist für ihre Wutausbrüche und ihren sturen Kopf?» Kein Wort über die Sachgeschäfte, sondern einzig und allein emotional geprägte Attribute.
Die m�nnlich dominierte Unternehmenskultur ist nicht nur f�r die Vereinbarkeit von Familie und Beruf problematisch.
Und wenn es nicht ums Äussere geht, dann werden die gleichen Verhaltensweisen von Mann und Frau unterschiedlich interpretiert: Der Mann hat eine klare Haltung. Die Frau ist stur. Der Mann verhandelt geschickt. Sie ist wankelmütig. Eine Frau kann noch so «tough» sein, solche Reduktionen belasten und machen den Wunsch, an die Spitze zu gelangen, auch nicht gerade grösser. Hinzu kommt, dass Frauen schon traditionsbedingt ein anderes Machtbewusstsein haben als die Männer. Beruflicher Einfluss war während Jahrhunderten den Männern vorbehalten. Und Machtausübung erschien und erscheint den meisten Frauen wenig attraktiv. Frauen stellen sich seltener als Männer in den Vordergrund und achten «auch ohne Familie» auf eine bessere Work-Life-Balance. Und vor allem: Frauen sind bescheidener, zieren sich, ihre Verdienste und Fähigkeiten zu nennen. Es würde also nicht schaden, wenn Frauen ihre Erfolge selbstbewusster kommunizieren und bei aller Sachorientiertheit auch häufiger in erster Linie taktisch statt transparent vorgehen würden. Auch wenn es etwas resigniert tönt: Frauen werden wohl erst dann häufiger in Spitzenpositionen anzutreffen sein, wenn sie die anspruchsvolle Gratwanderung zwischen Abgrenzung und Anpassung, zwischen Betroffenheit und Kalkül besser bestehen als heute.
Dieser Beitrag wurde erstmals in der Human-Resource-Fachzeitschrift „HR“ veröffentlicht.